Mehr oder weniger Hubraum vonnöten? Nicht bei Sherco, denn die 300er agiert in der E2-Klasse auf überzeugende Art und Weise.

Sherco hat mit seinem 300er Viertakter nicht nur gezeigt, sondern auch bewiesen, dass es nicht immer mehr Leistung oder Hubraum sein muss. Die Erfolge und Weltmeistertitel durch den Australier Matthew Phillips in Zusammenarbeit mit dem erfahrenen und legendären italienischen Team von Fabrizio Azzalin bewies das in den vergangenen Jahren äußerst eindrucksvoll. Auch das diesjährige Comeback vom erst kürzlich zurückgetretenen Matthew Phillips in den EnduroGP mit gleichem Untersatz und Team zeigt, dass der zunächst gefasste kurzfristige Entschluss nicht auf dem Material basierte, denn damit sei er bestens ausgerüstet – so seine Aussage in der Vergangenheit.


DIREKTLINKS

TECHNISCHE DATEN

LEISTUNGS- & DREHMOMENTDIAGRAMME

WARTUNGSINTERVALLE & E-TEIL-PREISE

FAZIT


 

Dass die 300er Viertakt-Sherco ein sehr rundes Gesamtpaket für den Enduro-Einsatz darstellt, egal ob im Hobby-Segment oder im Spitzensport, haben wir mehrmals in unseren umfangreichen Einzel- und Vergleichstests mit der oftmals sehr viel stärkeren Konkurrenz aus der E2-Klasse herausgearbeitet. Wer hier noch das I-Tüpfelchen möchte kommt an den Sonder-Editionen nicht vorbei.

Während wir diesen Test durchführen, steht neben der Racing-Variante und dem hier eingesetzten Sixdays-Modell noch ein weiteres Sondermodell in den Startlöchern, das unter der Bezeichnung Factory geführt wird und gerade die Produktionshallen für den weltweiten Vertrieb verlässt.

Die Sonder-Editionen sind natürlich nicht nur für Sammler interessant, sondern vor allem für diejenigen, die eine extravagante und sinnvolle Zusatzausstattung direkt vom Hersteller wünschen, um das bestmögliche Ergebnis im Offroad-Einsatz zu erreichen. Was macht das Sixdays-Modell gegenüber der Standard-Racing-Variante so speziell? Denn immerhin ruft der Hersteller bemerkenswerte 10.599 Euro auf, was ein ordentliches Loch in das persönliche Budget reißt. Bevor man sich aber voreilig über den hohen Kaufpreis mokiert, sollt man sich zuerst mit den Besonderheiten dieses Modells auseinandersetzen. Denn sie sind in der Summe erheblich günstiger, als wenn man sie später einzeln über den Zubehörmarkt zukauft und teilweise noch abstimmen muss.

Sixdays-Sonderausstattung: Selle-Dalla-Valle-Sitzbankbezug „Asfalte“, WP-Xplor-Gabel mit werkzeugfrei einstellbarer Federvorspannung von außen, geschlossene Bremsscheibe hinten und ein neuer Lenker in Racing-Form. Das Sixdays-Dekor France gehört natürlich schon rein obligatorisch dazu und die blau beschichteten Felgen machen sich optisch genau so gut wie das schwarz beschichtete Kettenrad. Das Highlight ist unbestritten die komplette Akrapovic-Auspuffanlage aus Titan, die nicht nur das Startgewicht reduziert, sondern bekanntlich auch einige Pferde mehr aus dem Motor herausholt.

Betrachtet man die diesjährige Sixdays-Edition, so darf man beim ersten Anblick behaupten, dass dieses Modell zu einer der optisch gelungensten Sportenduros am Markt gehört und bereits im Stand für das gewisse Kribbeln in der Gashand sorgt. Natürlich ist das eine rein subjektive Betrachtungsweise, denn bekanntlich differiert der Geschmack – optisch bin ich jedoch schon jetzt begeistert.

Bevor die Sherco losgelassen wird, noch kurz eine Auflistung der Bauteile – grob geschätzt – bei nachträglicher Anschaffung: Die komplette Akrapovic-Auspuffanlage schlägt mit gut 1300 Euro ohne angepasstes Mapping zu Buch. Das Gabel-Update lässt sich leider nicht beziffern, da hierfür eine komplett neue Modell-Generation zum Einsatz kommt, die im Standard-Modell „Racing“ noch nicht montiert wird, sich aber kostentechnisch erheblich auswirken würde. Das beschichtete Kettenrad knabbert mit durchschnittlich 35 Euro und mehr am Budget. Ein Dekor kann man bei gut 150 Euro aufwärts ansiedeln. Blau beschichtete Felgen verschlingen ohne Montage mit Naben und Speichen-Nippel-Kit günstig gerechnet 270 Euro und für eine geschlossene Hinterrad-Bremsscheibe samt neuem Lenker dürfen 180 Euro einkalkuliert werden. Summa summarum sprechen wir hier grob von 2000 Euro ohne Montage und Abstimmung. Realistisch betrachtet sind es bei der exakten Gegenüberstellung deutlich mehr, so dass man für den Aufpreis des Sixdays-Modells von 954 Euro im Vergleich zur Racing-Variante definitiv von einem preislichen Schmankerl reden darf.

Was nicht nur optisch äußerst gelungen ist, sondern auch in der Praxis eine Änderung erfahren hat, ist die montierte Sitzbank mit neuem Bezug. Der verwendete Sitzbank-Schaum wurde anscheinend erneuert, da er spürbar straffer ausfällt, so dass man eine sportlichere Sitzposition erhält, ohne Komfort vermissen zu müssen. Ein positiver Effekt ist dabei der etwas größere Kniewinkel, was im Fahrbetrieb angenehmer für den Piloten ist.

Fakten

40 PS treffen auf nur 116 Kilogramm Startgewicht. Dazu kommen ein überzeugendes Handling, das auffällig einfache Einlenkverhalten und die stets hervorragend zu dosierende Motorleistung. Ergänzt wird das ganze Paket durch die bereits angesprochene hochwertige Sonderausstattung, Hebel- und Rahmenschützer sowie einen äußerst strapazierfähigen Kunststoff-Motorschutz. Zwei Mappings, ein externer Kühlwasser-Expansionsbehälter und Brembo-Armaturen für Bremsen und Kupplung sind ebenfalls mit von der Partie. Hinzu kommt ein stimmiges und sportliches Erscheinungsbild, das von einer praxisgerechten Erreichbarkeit der für die Wartung notwendigen Bereiche abgerundet wird.

Acht Grad Lufttemperatur, Nebel sowie teilweise Nieselregen versüßen diesen Einzeltest nicht gerade. Mit einem Druck auf den Startknopf zieht der Anlasser-Motor nicht sofort durch. Erst nach dem zweiten Betätigen läuft das 300er Aggregat sofort an und regelt sich dank Kaltstart-Automatik selbst auf die notwendige Leerlaufdrehzahl ein. Die Akrapovic-Auspuffanlage sorgt überraschend für eine angenehm dumpfe Geräuschkulisse, obwohl wir hier nur etwas mehr als 300 Kubikzentimeter Hubraum haben. Die Kupplung trennt im kalten Betriebszustand nicht sofort, was aber nach ein paar Metern im Fahrbetrieb verschwunden ist – die technischen Hintergründe werden als bekannt vorausgesetzt.

Die 300er ist aus der Erfahrung heraus das Paradebeispiel für Gleichmäßigkeit, was die Leistungsabgabe sowie den Drehmomentverlauf betrifft. Schafft sie es, durch die neuen Motor-Updates und die Abstimmung sowie die Akrapovic-Auspuffanlage diese bekannte Motor-Performance nochmals zu steigern?

LEISTUNGSDIAGRAMM

DREHMOMENTDIAGRAMM

Auf dem Leistungsprüfstand drängt die Sherco etwas mehr als das Vorjahresmodell nach vorn und liefert beachtliche 40 PS bei 11.067/min ab. Damit bietet sie zwei PS mehr an Spitzenleistung als das 2017er Modell mit Akrapovic-Auspuffanlage, was der neuen Abstimmung und den motorischen Optimierungen zu verdanken ist. Damit hält Sherco sein Versprechen aus der Pressemitteilung und haucht dem aktuellen Modell tatsächlich ein paar Pferdchen mehr ein.

Das Drehmoment konnte auf 31,6 Newtonmeter bei 7.498/min angehoben werden, was ein Plus von 1,4 Newtonmeter gegenüber dem Vorjahresmodell bedeutet. Nur anhand der Zahlen betrachtet ist das kein großer Sprung, doch in Bezug auf nur 300 Kubikzentimeter Hubraum eine echte Ansage – und nun ab ins Gelände.

Höchstdrehzahl und Drehzahlbegrenzer, kurze Schleifgeräusche und erneut Höchstdrehzahl bis in den Drehzahlbegrenzer mit Gangwechsel. Nochmals unterbrochen durch Schleifgeräusch bei gleichzeitigem Fast-Verstummen des Motors. Gefolgt von einer Vollgas-Orgie bis hoch in den fünften Gang, bis die Sherco Sixdays plötzlich auf einem mit zahlreichen Kurven gespickten Schotterweg aus dem Wald hervorsticht. Der Fahrer liegt zusammengekauert – also aerodynamisch optimiert – auf der 300er und gibt fahrerisch alles, um die Französin an ihre Grenzen zu treiben.

Die aufgetretenen Schleifgeräusche waren eindeutig harte Bremsmanöver vor den Kurven, um die Sherco passend zu verzögern. Dann ein kurzer Stopp, die Gabel wird neu justiert und mit Vollgas schießt die Sherco samt Reiter auf dem Hinterrad davon und hebt auch bei hohem Tempo problemlos das Vorderrad an, ohne es fahrerisch herauszufordern. Der erste Eindruck lässt eine überzeugende Traktion am Hinterrad und passende Motorleistung vermuten.

Mit dieser kurzen, aber temporeichen Intermezzo verursacht die Sherco eine hohe Erwartungshaltung in der Gashand, was durch eine satte Geräuschkulisse untermauert wird. Hier eine kurze Orientierungshilfe: Startknopf rechts im Gasgriff integriert, darunter ein Hebel, der in der linken Position die zahmere Leistungskurve und in der rechten die sportlichere bereit hält. Auf der linken Seite befinden sich wie üblich der Notaus-Schalter und daneben ein Wippschalter für die Lichtanlage. Sie kann nur ein- oder ausgeschaltet werden, da es hier keine Funktion für Fern- oder Abblendlicht gibt. Hier muss natürlich berücksichtigt werden, dass es sich um die Ausführung „Sporteinsatz“ handelt. Natürlich muss auch eine Sherco die klassischen Funktionen der Lichtanlage für die Homologation erfüllen, was sicherlich wie allgemein üblich durch eine passende Armatur im Lieferumfang realisiert wird.

Endlich geht’s auf die ersten Meter. Eine Warmfahrphase ist nicht mehr notwendig, da die Enduro auf Grund der kurzen temporeichen Vorstellung durchgewärmt sein sollte. Zunächst folge ich einem Singletrail und nutze das vorhandene Drehmoment, um zügig, aber stets gut kontrollierbar die mehrfachen Richtungswechsel, quer liegende Baustämme und kleine Auf- und Abfahrten auf dem mit Wurzeln übersäten Pfad sicher absolvieren zu können.

Sofort und unverkennbar sticht das spielerische Handling der Sherco hervor, was gerade bei den schnellen Richtungswechseln zwischen den Bäumen eine wahre Fahrfreude mit sich bringt. Mit gut 50 km/h rollt die das Motorrad auf dem Singletrail durch den Baumbewuchs. Kurz verzögert, eingelenkt und beschleunigt – schon ist der erste Richtungswechsel vollzogen. Nächster Rechtsknick in gleicher Manier, dieses Mal geht’s dazu bergab. Die Brembo-Bremsanlage verzögert auf den Punkt und die Kupplungsarmatur gleicher Marke verrichtet tadellos ihre Arbeit.

Am tiefsten Punkt der Abfahrt angekommen geht es sogleich wieder bergauf, wofür man mit solchen Hubräumen bekanntlich Drehzahl benötigt. Leider habe ich diesen Zeitpunkt verpasst, so dass ich in der Auffahrt schon daran denke, umzudrehen. Doch erstaunlicherweise sackt die Drehzahl nicht ab und der Motor schiebt die Sherco weiter die Auffahrt hinauf.

Davon komplett überrascht fordere ich die Synerject-Einspritzung nochmals heraus und wähle bewusst niedrige Drehzahlen bei größtmöglichem Gang und geringem Tempo. Was folgt? Normalerweise hackt der Einzylinder auf den Kurbeltrieb ein, was umgangssprachlich gerne als Schütteln bezeichnet wird. Doch nicht bei der Sherco, denn sie beschleunigt im fünften Gang ohne Ruckeln oder sonstige Auffälligkeiten wie am Gummiband gezogen durch bis zur Höchstdrehzahl.

Dass das mit nur 300 Kubikzentimetern Hubraum möglich ist, überrascht mich nicht mehr, denn schon die Vorjahresmodelle stellten ein überzeugend großes nutzbares Drehzahlband bereit. Die Factory macht’s noch einen Tick besser, so dass wir unsere berüchtigte 100 Meter lange Auffahrt im tiefen Sand heranziehen und den 300er Motor schwitzen lassen. Im dritten Gang mit Vollgas schießt sie den Hang hoch. Kurz das Gas weggenommen, um den Schwung zu reduzieren und das Drehmoment herauszufordern. Und siehe da, die Sherco zieht ohne Probleme durch, ohne dass der Griff an die Kupplung notwendig wird.

TECHNISCHE DATEN

Technische Daten Sherco SEF 300 Sixdays 2018 ©OFFROADCRACKS

 

Hier haben die Sherco-Entwickler in Zusammenarbeit mit Synerject eine beeindruckende und hervorragende Abstimmungsarbeit geleistet, die in dieser Konstellation ihresgleichen sucht und die fahrerische Dominanz von Matthew Phillips im EnduroGP zumindest etwas erklären hilft – bekanntlich ist der Fahrer samt seinen Fähigkeiten mit 80 Prozent am Erfolg maßgeblich beteiligt.

Mit Vollgas bei 130 km/h kommt keine Unruhe auf. Die Sherco liegt ruhig und nimmt die eine oder andere Welle gekonnt mit einem Sprung, ohne den Reiter auf dieser Highspeed-Etappe aus der Ruhe zu bringen. Beachtlich ist trotz höchster Drehzahlen, wie gut das 300er Aggregat am Gas hängt, ohne dabei ins Leere zu drehen. Mit verantwortlich hierfür ist die Leistungsabgabe, die sogar bei über 13.200/min noch beachtliche 35,6 PS liefert.

Geht’s ins technisch Anspruchsvolle mit gleicher sportlicher Ambition und entsprechendem Tempo, dann kommt das Fahrwerks-Setup an seine Grenzen. Das zeigt sich durch zu viel Ein- und Ausfederbewegungen, die die gewünschte Direktheit unterbinden. Aber das sind Eigenheiten, die einfach mit dem persönlichen Fahrkönnen und Tempo zusammenhängen und durch das eigene Körpergewicht mit beeinflusst werden – eine rein individuelle Angelegenheit.

Steigert man den Anspruch und bewegt sich im extremen Gelände, so ist die Sherco auch hier auffällig ausgeglichen. Leistung und Drehmoment stimmen und können gezielt dosiert werden. Egal ob auf dem Hinterrad über felsiges Terrain bergauf oder beim Springen über kurze Absätze mit wenig Anlaufmöglichkeit. Die Sherco vermittelt stets, dass es mit ihr eine Nummer einfacher und sicherer als sonst abläuft.

FAZIT

Die Sherco SEF-R 300 Sixdays ist eine echte Alleskönnerin mit herausragenden Fahreigenschaften, die durch einen hervorragend abgestimmten Motor in nahezu allen Lagen glänzt. Die Ausstattung ist vollständig und die hochwertigen Sonderteile begeistern nicht nur optisch, sondern viel wichtiger auch in der Praxis. Sicherlich sind 10.599 Euro Anschaffungspreis nicht mal ebenso aus der Portokasse zu bezahlen. Doch wie bereits erläutert sind die verwendeten Sonderteile in der Einzelanschaffung ein Vielfaches teurer, so dass sich ein zweiter Blick durchweg lohnt.

Egal ob Einsteiger, Fortgeschrittener oder ambitionierter Racer, die Sherco weiß zu begeistern und gefällt besonders durch ihre einfache Handhabung in fast allen Bereichen. Immer wieder glänzt sie mit ihrem spielerischen Handling, dem hervorragenden Einlenkverhalten und der überzeugenden Traktion am Hinterrad. Hinzu kommt ein gut kontrollierbares Driftverhalten, so dass sich auch weniger versierte Fahrer auf Grund des breit angelegten Grenzbereichs an anspruchsvollere Fahrmanöver herantasten können.
Wer jedoch ein Drehmoment-Wunder mit ordentlich Punch aus dem Drehzahlkeller erwartet, sollte eher mit größeren Hubräumen vorlieb nehmen, denn das kann technisch gesehen und folglich logisch betrachtet nicht das Metier der 300er sein. Dafür gibt es das stärke Schwestermodell SEF-R 450.


PLUSMINUSBEWERTUNG SHERCO SEF 300 Sixdays 2018

PLUS

• Perfekt dosierbare Motorleistung
• Breites nutzbares Drehzahlband
• Spielerisches Handling
• Geringes Gewicht
• Umfangreiche Ausstattung
• Mapping-Schalter-Position
• Driftverhalten

MINUS

• Batterie-Erreichbarkeit
• Veralteter Bilux-Scheinwerfer
• Batterie-Erreichbareit


WARTUNGSINTERVALLE & E-TEIL-PREISE

Wartung & E-Teil-Preise - Sherco SEF 300 Sixdays 2018 ©OFFROADCRACKS

 

Weitere Infos unter: www.sherco.com

IMPRESSIONEN…

Bilder: OFFROADCRACKS.com
Kleidung: Scorpions VX-21 Air Mudirt, Seven Annex Ignite Combo, Gaerne-SG10, Progrip 3204FL
„Wir bedanken uns für die professionelle Zusammenarbeit bei…
…SHERCO Deutschland, Zupin, Micronsystems, Scorpions, Gaerne und Progrip.“